A. Brühlmeier: Habe Ihren Sohn ungern verloren

Titel
Habe Ihren Sohn ungern verloren. Johann Heinrich Pestalozzi – Johannes Marti Vater und Sohn. Briefwechsel 1806– 1809


Herausgeber
Brühlmeier, Arthur; Werder,Kurt
Erschienen
- 2008: Verein Pestalozzi im Internet
Anzahl Seiten
Preis
€ 25,00
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Jürg Wegmüller

Johannes Marti (1768–1810), Besitzer des Gasthofes zum Brunnen in Fraubrunnen, wollte seinem Sohn Johannes (1796–1820) die bestmögliche Bildung gewährleisten. So schickte er ihn im Juni 1806 im Alter von zehn Jahren ins Institut Heinrich Pestalozzis nach Yverdon. Anfang April 1809 musste Pestalozzi ihn mit grossem Bedauern wieder entlassen. Die Hoffnung, dass er für ein weiteres Jahr zurückkehren werde, erfüllte sich allerdings nicht.

Dass wir heute Wesentliches über diesen Aufenthalt von Johannes Marti in Yverdon wissen, verdanken wir einem Briefkonvolut, das Elisabeth Pfäffli-Marti dem Rittersaalverein Burgdorf testamentarisch vermachte. Nicht nur über den Buben Johannes Marti erfahren wir einiges – Pestalozzi attestiert ihm ein «engelreines Herz» –, noch viel mehr aber über Pestalozzi und sein Institut. Wir erhalten genaue Angaben über die Kosten, die dem Vater eines Zöglings pro Quartal verrechnet wurden: Der Pensionspreis von 100 Franken musste als Vorschuss bezahlt werden, dazu kamen Rechnungen für Zahnarztbesuche, für Kleider, Exkursionen, Exerzier- und Fechtlektionen u.a.m. Pestalozzis lebenslange Geldnöte könnten den Verdacht aufkommen lassen, es hätte in seinen Unternehmungen eine saubere Buchführung gefehlt. Die vorliegenden Rechnungen belegen das Gegenteil. Ein Beispiel soll genügen: 1809 sind 165 Zöglinge nachgewiesen; über jeden Bleistift, jedes Federmesser, jedes Notenpapier und jede Tanzlektion wurde Buch geführt, und alle drei Monate wurde den Eltern, die zu einem nicht geringen Teil im Ausland wohnten, Rechnung gestellt.

Selbstverständlich begegnen wir auf Schritt und Tritt dem Humanisten, natürlich auch immer dem Institutsleiter Pestalozzi. Seine Führungsschwäche war eklatant. Nachdem das Institut rasch gewachsen war, wurden nun Spannungen zwischen den Mitarbeitern sichtbar. Pestalozzi war viel zu emotional, spontan, zu sprunghaft und zu sehr von den eigenen Visionen in den Bann gezogen, um ein derart grosses Unternehmen rational führen zu können und die unvermeidlichen Konflikte zu bewältigen. Leider kannte er kaum andere Lösungsstrategien als beschwörende moralische Appelle. In seiner Neujahrsrede 1808 nahm er alle Schuld für die internen Zerwürfnisse auf sich und rief seine Zuhörer zu erneutem Engagement im Sinne seiner Bildungsidee auf. Dann liess er einen Sarg vor sich hinstellen und prophezeite den Anwesenden, er oder seine Frau würden wohl demnächst, wohl schon im kommenden Jahr, in diesem Sarg liegen. Allerdings – und das belegt der Neujahrsbrief 1808 des Buben Johannes Marti an seinen Vater – blieben diese internen Querelen den Zöglingen in der Regel verborgen. Johannes erzählte haarklein, was Pestalozzi in seinen Reden darlegte, und das vermittelt uns einen hervorragenden Einblick in seine Didaktik. Alles in allem Briefe, die neue Einsichten vermitteln und betroffen machen.

Zitierweise:
Jürg Wegmüller: Rezension zu: Brühlmeier, Arthur; Werder, Kurt (Hrsg.): Habe Ihren Sohn ungern verloren. Johann Heinrich Pestalozzi – Johannes Marti Vater und Sohn. Briefwechsel 1806–1809, Verein Pestalozzi im Internet, 2008. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 71, Nr. 4, Bern 2009, S. 58f.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 71, Nr. 4, Bern 2009, S. 58f.

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